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Die Flucht | Kapitel 1

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Oliver drehte sich stöhnend auf die andere Seite. Er lag im Bett und hatte mal wieder einen Albtraum. So wie jede Nacht. Jedes Mal liefen die gleichen Bilder vor seinem inneren Auge ab. Emma und Liam lagen wie zwei Puppen regungslos im sandigen Boden, irgendwo im Western Territory auf dem Gelände von Basis 29, umzingelt von schwer bewaffneten Oppositionsanhängern. Und dann hebt ihr Mörder und Anführer der Opposition, Logan Grey, den Kopf. Starrt ihn direkt an und verzieht sein Gesicht zu einer boshaft grinsenden Fratze. In diesem Moment wurde Oliver unsanft wachgerüttelt.

„Oliver!“

Oliver schreckte schweißüberströmt hoch und brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Eine Hand legte sich sanft auf seinen Unterarm.

„Du hast wieder schlecht geträumt“, stellte Scarlett seufzend fest.

Oliver spürte einen stechenden Schmerz in den Schläfen und begann sie mit den Händen leicht zu massieren.

„Ja. Es ist immer der gleiche Traum. Ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll. Kaum mache ich die Augen zu, läuft wieder die gleiche Szene ab.“

„Emma und Liam?“

„Ja.“

„Du bist traumatisiert. So wie wir alle.“

„Das weiß ich, Scarlett“, antwortete Oliver gereizt. „Trotzdem weiß ich nicht, was ich dagegen machen kann.“

Scarlett bohrte nicht weiter und ließ das Thema Albträume sein. Emma und Liam waren erst seit ein paar Tagen tot und sie alle befanden sich im Schockzustand.

„Du kannst mich zumindest ablösen. Deine Schicht fängt an.“

Oliver gähnte müde, nickte und stand auf.

„Wie spät ist es?“, fragte er.

„Kurz nach fünf.“

„Ich verstehe nicht, warum bis jetzt noch nichts passiert ist“, murmelte Oliver leise vor sich hin.

Scarlett zuckte mit den Schultern.

„Nur weil nach Jared Flemmings Tod ein Baby sofort am nächsten Tag wiedergeboren wurde, heißt das nicht, dass das bei Emma und Liam auch der Fall sein muss.“

Oliver zog sich ein frisches T-Shirt über und schlurfte aus dem Zimmer. Er entdeckte den Laptop aufgeklappt auf der Couch im Wohnbereich und stöhnte genervt.

„Scarlett, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass der Laptop nicht auf der Couch liegen soll!“

Scarlett war ihm gefolgt und rollte mit den Augen.

„Dem Laptop geht es ganz wunderbar.“

„Es ist aber für die Lüftung nicht gut, wenn er auf einem Polster liegt.“

„Ja, schon gut. Ich passe beim nächsten Mal besser auf“, ruderte Scarlett zurück. Sie war hundemüde und wollte sich endlich schlafen legen.

„Bis nachher, Oliver.“

„Hmm“, brummte der nur und vertiefte sich bereits in die Geburtstabellen auf dem Bildschirm.

Seit sie hier angekommen waren, wechselten sie sich rund um die Uhr schichtweise damit ab, die verzeichneten Geburten zu überwachen. Sollten Liam und Emmas Zeichen irgendwo auftauchen, erfuhren sie es sofort durch das System. Jared Flemming wurde damals jedoch ohne jegliches Zeichen wiedergeboren. Trat dieser Fall ein, konnte logischerweise kein Zeichen im Melderegister auftauchen. Das Krankenhaus wandte sich in so einer Situation sicher als allererstes an die Behörden, um den Vorfall zu melden. Um auch hierbei alles mitzubekommen, hatte sich Oliver in die zentrale Meldestelle der Regierungspolizei gehackt. So entging es ihm nicht, wenn eine Geburt ohne Zeichen gemeldet werden würde.

Die Firewalls und Sicherungssysteme der Polizei waren zwar auf dem neuesten Stand, doch die Polizisten selbst, die das System jeden Tag benutzten, waren dagegen teilweise sehr leichtsinnig. Oliver brauchte nicht lange, bis er einen Polizisten ausfindig machte, der auf seinem privaten Rechner seine Zugangsdaten zum Firmenrechner ohne nennenswerten Passwortschutz und ohne eine Firewall hinterlegt hatte.

Ob nun der eine oder der andere Fall eintreten würde – sie waren vorbereitet.

Oliver starrte auf die Zahlen vor sich und gähnte.

„Kommt schon ihr beiden. Ihr müsst wiederkommen“, murmelte er leise und gähnte abermals.

Schon nach kurzer Zeit kippte Olivers Kopf nach hinten auf die Rückenlehne der Couch und er fing wieder an zu träumen.

 

*

 

Oliver sah, wie Eric Anlauf nahm, sich vom Boden abstieß und seinem eigenen Kollegen in die Hüfte sprang. Zuerst hatte Oliver gedacht, dass Eric ihn außer Gefecht setzen wollte und kniff voller Angst vor der Wucht des Aufpralls die Augen zu. Er spürte jedoch keinen Tritt, sondern wurde lediglich auf den Boden gerissen, als die vermummte Gestalt hinter ihm auf den Boden ging. Als Eric der Gestalt abermals einen Tritt verpasste, begriff Oliver, dass ihm gerade geholfen wurde. Er konnte sich jedoch nicht allzu übermäßig darüber freuen und japste nach Luft. Der Aufprall war sehr schlecht für seine verletzten Rippen.

Oliver hörte Logan wütend aufschreien, als er Eric gegen seine eigenen Leute kämpfen sah. Er hob den Kopf und sah, wie Mason Scarlett packte und hastig hinter sich zog. Kurz zuvor hatte es sein Freund geschafft, seinen Angreifer über die Schulter zu werfen. Weiterhin hatte er dem Mann, der Scarlett fest im Griff hielt, mit dem Ellenbogen ins Gesicht geboxt. Die beiden Männer waren kurzzeitig außer Gefecht gesetzt, rappelten sich jedoch wieder vom Boden auf und kamen nun von beiden Seiten langsam auf Mason zu. Mason sah furchteinflößend aus. Oliver zweifelte in diesem Moment keine Sekunde daran, dass sein Freund alles und jeden in Stücke reißen würde, der ihm oder Scarlett ein Haar krümmen wollte. Er fletschte seine Zähne und knurrte wie ein Tier.

Oliver musste seinen Freunden helfen. Er stöhnte und rollte sich langsam auf die Seite, um sich mit den Armen beim Aufstehen abstützen zu können. Die Gestalt hinter ihm hatte ihn nicht mehr gepackt, sondern war damit beschäftigt, sich fluchend die Hüfte zu halten, die sein Kollege verletzt hatte. In diesem Moment hörte Oliver Eric brüllen, dass Liam und Emma abhauen sollten.

Oliver hob den Kopf und für einen kurzen Augenblick kreuzte sich sein Blick mit dem von Liam. Er sah die Verzweiflung in den Augen seines besten Freundes, ihnen helfen zu wollen. Sie nicht im Stich lassen zu wollen. Doch zwischen ihnen befanden sich zu viele Gegner.

Lauf Liam!

Und das tat er. Oliver sah, wie Liam Emma am Arm packte und mit ihr davonrannte. Schon nach wenigen Metern wurden sie von der Dunkelheit verschluckt.

Oliver schaffte es auf die Knie, doch als er aufstehen wollte, sackte er wieder in sich zusammen. Jeder Atemzug fühlte sich an, als ob ihm ein Messer zwischen die Rippen fuhr.

Mason hatte unterdessen zum Schlag ausgeholt und traf seinen Gegner derart am Unterkiefer, dass dieser sofort aus dem Mund blutete und in die Knie ging. Der zweite Mann verpasste Mason daraufhin einen linken Haken an die Schläfe, der ihn taumeln ließ. Scarlett konnte mit ihrem verletzten Arm nicht viel zum Kampf beitragen. Ihr einziger Vorteil war, dass sie sich flink bewegen konnte. Sie bückte sich blitzschnell, grub ihre linke Hand in den Boden und warf dem Angreifer eine Ladung Dreck ins Gesicht.

Das verschaffte Mason kurz Zeit, sich zu fangen. Er packte den Mann, der gerade hektisch damit beschäftigt war, sich den Dreck aus den Augen zu reiben und rammte ihm sein Knie in den Magen. Sein Gegner japste nach Luft und krümmte sich röchelnd zusammen.

„Pass auf, Mason!“, schrie Scarlett panisch hinter ihm.

Die zweite Gestalt hatte sich wieder aufgerappelt, rannte nun brüllend auf Mason zu und rang ihn mit seinem Körpergewicht nieder. Sie wälzten sich auf dem Boden und versuchten jeweils die Oberhand zu gewinnen. Mason landete einen Treffer am Ohr, was seinen Gegner vollends rasend machte. Der Mann schaffte es, sich auf Masons Körpermitte zu setzen und klemmte dessen Arme mit den Knien fest, damit er nicht mehr ausholen konnte. Er grinste und spuckte verächtlich neben Masons Gesicht auf den Boden. Dann holte er zum Schlag aus und seine Faust krachte in Masons linke Gesichtshälfte. Masons Lippe platzte auf und sein Mund füllte sich mit Blut.

Es folgten weitere Schläge und Mason spürte ein Knacken in seinem Nasenbein. Scarlett wollte ihrem Freund zu Hilfe eilen, doch der andere Mann, dem Mason zuvor in den Magen hieb, warf sich nach vorne und bekam Scarlett am Knöchel zu fassen. Er riss sie auf den Boden, wobei sie den Sturz reflexartig mit ihren Händen abfangen wollte und dadurch stechende Schmerzen im verletzten Arm auslöste.

Sie spürte, wie ihre genähte Wunde aufriss und zu bluten begann. Ihr T-Shirt war nach wenigen Sekunden mit Blut durchtränkt. Sie schrie gequält auf und zog panisch an ihrem Fuß, doch der Angreifer hielt ihn fest umklammert.

Oliver sah flehend zu Eric hinüber, der jedoch immer noch mit Emmas und Liams Angreifern beschäftigt war.

Ich muss etwas tun!

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