top of page
Stickermotiv.png

Zur falschen Zeit am falschen Ort | Kapitel 1

​

Es hallte laut, als sie den Flur entlangschritt. Für den Dreh musste sie sehr hohe Absätze tragen, und ihre Füße schmerzten schon jetzt. Marla sehnte den Moment herbei, in dem sie wieder in ihre bequemen Hausschuhe schlüpfen konnte. Doch nun musste sie sich konzentrieren. Sie spürte das Adrenalin, das durch ihren Körper strömte, und ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Magen wurde stärker, je näher sie dem Set kam. Noch immer konnte sich Marla nicht erklären, wie sie es geschafft hatte, das neue Trailer-Model für RotGold zu werden. Schließlich war es das größte, einflussreichste und mächtigste Unternehmen der Welt. RotGold hatte ein Schönheitselixier entwickelt, das dafür sorgte, dass Menschen bis zu ihrem Tod jung und schön aussahen. Und dies zu einem Preis, der eigentlich nur für vermögende Menschen erschwinglich war. Alle anderen nahmen horrende Kredite auf, die sie kaum zu Lebzeiten zurückzahlen konnten.

Marla biss sich auf die Lippe. Genau deswegen war sie hier. Um endlich aus der ewigen Schuldenfalle herauszukommen, in der sie sich mit ihren zarten zweiundzwanzig Jahren bereits befand. Nie hätte sie gedacht, dass sie den Modeljob wirklich ergattern würde, nachdem sie sich beim Casting gegen Hunderte andere junge Frauen hatte durchsetzen müssen und mit ihren 174cm nur knapp die Mindestgröße erfüllte. Die hohe Gage war der einzige Grund gewesen, weshalb sie sich überhaupt beworben hatte. Das Unternehmen und alles, wofür es stand, waren ihr zuwider, doch das würde sie natürlich in diesem Umfeld niemals laut aussprechen.

„Hör auf, auf deiner Lippe herumzukauen. Dein Make-up sitzt perfekt! Ich hab keine Lust, dich noch mal in die Maske schicken zu müssen.“

Neil Watkins, Marketing-Chef bei RotGold und damit ihr Vorgesetzter, blickte sie vorwurfsvoll von der Seite an, als er neben ihr herlief. Er war es gewesen, der sie für die Rolle auserkoren hatte. Besonders sympathisch war er Marla jedoch nicht, denn er war herrisch, autoritär und eitel. Mit seinen dreißig Jahren war er schnell die Karriereleiter hochgeklettert und bediente das Klischee eines erfolgreichen Geschäftsmannes beinahe perfekt. Marla schätzte ihn auf 185cm, denn er überragte sie um ein gutes Stück, wenn sie keine hohen Schuhe trug. Mit seinen stahlgrauen Augen vermittelte er keine Schwäche, nie ging er ohne Anzug und Manschettenknöpfe aus dem Haus, und seine dunkelblonden Haare waren stets penibel gestylt. Fast pausenlos hing er an seinem Geschäftshandy und bellte seinen Angestellten Anweisungen entgegen. Müsste Marla ihn mit einem Tier vergleichen, so würde ihr auf Anhieb eine Giftschlange oder ein Aal in den Sinn kommen.

Angewidert verzog Marla das Gesicht, als Neil ihr seine Hand auf den Rücken legte und dagegen drückte, um sie dazu zu bewegen, schneller zu gehen. Um ein Haar wäre sie über ihre eigenen Füße gestolpert, doch sie konnte sich gerade noch fangen.

„Reiß dich zusammen!“, zischte er leise.

Vor ihnen tat sich das Set des Filmstudios auf, das nur wenige Kilometer von der RotGold-Zentrale entfernt lag und für den ganzen Tag gebucht worden war. Marla schluckte aufgeregt. Mehrere Scheinwerfer beleuchteten die Filmfläche, vor der sich ein Arsenal an Computern, Kameras und herumwuselnden Technikern befand. Der Regisseur gab seinem Assistenten gerade ein paar Anweisungen, als Neil und Marla hinzustießen. Der Assistent nickte eifrig, machte sich eine Notiz auf seinem Klemmbrett und gab die Anweisungen weiter, indem er in sein Headset sprach.

„Ist alles bereit?“, fragte Neil. Seinem Tonfall war zu entnehmen, dass er nur eine Art von Antwort dulden würde.

Der Regisseur nickte nur knapp und wandte sich Marla zu. Offensichtlich war er kein Fan von Neil Watkins, was ihm Marla kaum verdenken konnte.

„Marla Bates, schön, dich kennenzulernen. Mein Name ist Matthew Hunt. Ist es okay, wenn wir uns duzen? Wir werden heute viel Zeit gemeinsam am Set verbringen.“

Lächelnd ergriff Marla die Hand des Regisseurs und erwiderte den festen Händedruck. Seine Freundlichkeit ließ sie innerlich aufatmen, denn sie hatte befürchtet, dass sich alle hier so unnahbar und unfreundlich verhielten wie Neil.

„Ja, das ist natürlich okay! Ich verspreche, dass ich heute mein Bestes geben werde“, antwortete sie.

„Etwas anderes erwarte ich auch nicht von dir“, erwiderte Neil streng und entfernte sich dann von den beiden, um sich auf einem der Regiestühle niederzulassen.

„Ignorier ihn einfach und konzentriere dich auf meine Anweisungen, okay?“, raunte ihr Matthew leise zu. Dabei deutete er einladend auf das Filmset, und Marla folgte ihm neugierig.

„Also, Marla“, begann Matthew mit blitzenden Augen, „RotGold ist eine Luxusmarke, und genau das sollst du heute vermitteln. Deine Bewegungen sollen anmutig, edel und einen Hauch geheimnisvoll aussehen. Du und dein Körper, ihr seid ein Goldstück, du bist schön, du bist sexy und du bist dir dessen bewusst. Ich will selbstbewusste Blicke, keine schüchternen.“

„Ich habe die Choreo viele Male geübt, also hoffe ich, dass ich das hinkriege“, sagte Marla und lächelte aufgeregt.

„Mach dir keine Sorgen. Wenn wir dich einmal in der Atmosphäre drin haben, dann werden das tolle Aufnahmen. Magst du mir die einstudierten Bewegungen noch mal zeigen? Dann kann ich dir gleich sagen, was du noch anpassen solltest.“

Marla nickte, atmete tief durch und schloss noch einmal die Augen, bevor sie loslegte. So, wie sie es bei den unzähligen Proben geübt hatte, warf sie langsam den Kopf in den Nacken und strich in einer anmutigen Bewegung mit ihrer rechten Hand über den linken Arm. Sie kreiste mit dem Kopf und folgte mit beiden Händen den Linien ihrer Taille, nur um sie dann über den Kopf zu heben und sich mit langem Schwanenhals um sich selbst zu drehen.

Matthew lachte zufrieden. „Perfekt, damit können wir arbeiten. Bitte halte immer Blickkontakt mit der Kamera, und du darfst ruhig ein wenig elitär dreinschauen. Du musst den Eindruck erwecken, als wüsstest du ganz genau, dass du für den Rest deines Lebens so aussehen wirst wie heute. Mit diesem Trailer wollen wir Begehrlichkeiten wecken, das Schönheitselixier um jeden Preis haben zu wollen.“

Heute ist eher der Tag, an dem ich meine Seele verkaufe, dachte Marla resigniert. Sie fühlte sich, als würde sie all ihre Prinzipien über den Haufen werfen. Doch da musste sie jetzt durch, ansonsten würde sie für den Rest ihres Lebens nie das tun können, was sie so sehr liebte.

„Wie lange hält denn das Gold? Kratze ich das nicht herunter, wenn ich die Berührungen nicht nur andeute?“ Marlas gesamter Körper war mit einer golden glitzernden Paste bestrichen worden, sogar ihre Haare, die sich in einem strengen Dutt befanden, glänzten goldfarben. Unter all dem Glitzer war ihr eigentlich blondes Haar kaum noch zu erkennen. Zumindest hatte man ihr keine andersfarbigen Kontaktlinsen verpasst, denn ihre blauen Augen passten hervorragend zum Dreh.

Matthew machte eine wegwerfende Handbewegung. „Schau mal, da drüben haben wir einen Tisch aufgestellt, an dem wir dein Make-up und den Goldanstrich schnell nachbessern können. Ich werde es dich wissen lassen, wenn das nötig ist.“

Mit diesen Worten drehte sich Matthew um und klatschte energisch in die Hände. Aller Augen im Raum wandten sich ihm zu.

„Lasst uns loslegen, Leute! Die Szenen müssen heute in den Kasten.“

Nochmal tief durchatmend blickte Marla konzentriert in die Kamera vor sich. Nur wenige Augenblicke später fiel die erste Klappe.

 

*

 

„Bitte, wenn es geht, nicht anlehnen“, bat der Fahrer und bedachte Marla im Rückspiegel mit einem nervösen Blick. Es war zwar seine Aufgabe, das neueste Trailermodel von RotGold von A nach B zu bringen, allerdings gehörte die Limousine immer noch dem Chauffeurunternehmen, für das er arbeitete. Wenn er die Limo mit einer golden glitzernden Rückbank zurückbrachte, würde es ziemlichen Ärger geben.

„Ich passe auf wie ein Luchs“, lächelte Marla beruhigend und versuchte sich so wenig wie möglich zu bewegen. Jede Faser ihres Körpers war ausgelaugt, und sie konnte es kaum erwarten, endlich schlafen zu gehen. Ein sehr anstrengender und aufregender Tag lag hinter ihr. Doch mitten in diesem Gedankengang fiel ihr siedend heiß ein, dass sie ihr Briefing für die kommenden Tage hatte liegen lassen. Bevor sie für den Trailerdreh zum Set gebracht wurde, hatte sie am Morgen in Neils Büro in der RotGold-Zentrale antanzen müssen, wo er ihr ein Briefing sowohl für den Drehtag als auch eines für die kommenden Tage gab. Unzählige Pressetermine erwarteten sie.

„Scheiße!“, zischte Marla leise. Sie war so oft angesprochen und abgelenkt worden, dass sie die Papiere wohl aus Versehen hatte liegen lassen. Neil zu bitten, ihr das Briefing per Mail zukommen zu lassen, kam nicht infrage. Dann würde es nur wieder Vorwürfe und bissige Kommentare hageln. Kurz entschlossen bat Marla den Fahrer darum, einen Umweg zur RotGold-Zentrale zu fahren. Eine Schlüsselkarte für den Eingang hatte sie, sodass sie die dämlichen Papiere schnell selbst holen gehen konnte.

Seufzend bog der Fahrer an der nächsten Kreuzung nach links ab. Noch mehr Gelegenheit für den Glitzer, auf die Sitze zu rieseln.

Nach zehn Minuten Fahrt hielten sie vor RotGolds beeindruckender Zentrale. Jedes Mal, wenn Marla hier ankam, legte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete den über dreihundert Meter hohen Wolkenkratzer mit seinen siebzig Stockwerken. Das Besondere an diesem Gebäude war ein gläserner Aufzug, eingerahmt mit goldener und roter LED-Beleuchtung, der zu jeder Tages- und Nachtzeit in einem regelmäßigen Intervall hoch- und runterfuhr. Er diente eher Aufmerksamkeits- und Prestigezwecken, als dass Mitarbeitende tatsächlich damit fuhren, um in ihr Stockwerk zu gelangen. Nur Auserwählte wie hochranginge Angestellte und Partner von RotGold hatten eine Smartcard, um den Aufzug nutzen zu können, was sie insbesondere bei Amtsbesuchen von Politikern, Wirtschaftsvertretern oder Pressereferenten taten.

Marla versprach dem Fahrer, sich zu beeilen, und eilte durch RotGolds gläsernes Drehkreuz am Eingang. Über dem Empfangsbereich prangte überdimensional RotGolds Markenlogo, zwei goldene Rahmen mit einer tiefroten Raute in der Mitte. Darunter war in geschwungenen Lettern RotGolds Slogan für sein Schönheitselixier angebracht worden.

 

Halte dir deine Schönheit hold,

mit deines eigenen Körpers Gold.

 

Wenn sie diesen Leitspruch las oder hörte, dachte Marla jedes Mal sarkastisch, dass es wohl keine edlere Umschreibung dafür geben könnte, sich seine Schönheit nur mit eigenem Blut erhalten zu können.

„Oh, guten Abend, Miss Bates. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“, begrüßte sie der Pförtner sichtlich verwirrt, was sie hier zu so später Stunde zu suchen hatte.

Ihr nettestes Lächeln aufsetzend, seufzte Marla verzweifelt: „Ich habe mein Briefing für die kommenden Tage in Mr. Watkins Büro liegen lassen. So spät möchte ich ihn ungern noch anrufen, deswegen wollte ich mir die Papiere schnell selbst holen. Das sollte doch kein Problem sein, oder?“

Ungläubig hoben sich die Augenbrauen des Pförtners. „Miss Bates, so dringend Ihr Anliegen auch sein mag, ich könnte Sie niemals allein in Mr. Watkins Büro schicken, dafür würde ich in Teufelsküche kommen. Aber Sie haben Glück! Mr. Watkins ist hier. Zumindest habe ich sein Auto vor einer halben Stunde in die Tiefgarage fahren sehen.“ Dabei deutete er beiläufig auf zwei Bildschirme vor sich, auf denen er anscheinend die Live-Aufnahmen der Sicherheitskameras sehen konnte.

Vermaledeite Scheiße, dachte Marla, und ihr Puls beschleunigte sich rasant. Umdrehen konnte sie nun nicht mehr. Der Pförtner würde Neil sicherlich darüber informieren, dass sie nach ihm gefragt hatte. Warum nur war er nach dem Dreh noch hierhergekommen? Dieses Arbeitstier!

Prompt griff der Pförtner zum Hörer und wählte Neils Büronummer. Nach einer gefühlten Ewigkeit legte er wieder auf, als niemand abhob. Unsicher, ob er Marla nun durchlassen sollte, kaute der Mann auf seiner Lippe herum. 

Marla hob entnervt ihre elektronische Schlüsselkarte hoch und deutete auf die Durchgangsdrehkreuze, die zu den allgemeinen Aufzügen führten.

„Kommen Sie schon. Mr. Watkins und ich haben heute den ganzen Tag am Set verbracht. Ich brauche mein Briefing, um mich vorbereiten zu können, und wenn er doch da ist, kann ich schnell zu seinem Büro hochfahren.“

Ob es an ihrer bescheuerten goldenen Aufmachung lag oder an ihrem verzweifelten Tonfall, wusste Marla nicht, aber: Der Pförtner winkte sie resigniert durch. Als sie durch das Drehkreuz glitt, hörte sie ihn noch leise vor sich hin schimpfen.

Das Aufzugfahren in den 68ten Stock machte Marla nichts aus. Dennoch rumorte es in ihrem Magen, wenn sie daran dachte, dass sie zu dieser späten Stunde und mit dieser bleiernen Müdigkeit in den Knochen noch eine Diskussion mit Neil Watkins überstehen musste.

Oben angekommen, musste Marla im Flur nur noch zweimal um die Ecke biegen, und schon sah sie die Glasfront zu Neils imposantem Büro. Es bot einen sagenhaften Ausblick über die Stadt, die zu dieser Uhrzeit strahlend leuchtete.

Doch Neil war tatsächlich nicht hier. Marla klopfte leise und betrat zögernd das Büro. Weit und breit kein Neil zu sehen. Vielleicht war er auf die Toilette gegangen?

Perfekt!, dachte Marla und hastete zu seinem Schreibtisch. Vielleicht war ihr das Schicksal hold und sie schaffte es sogar ohne eine Begegnung wieder hinaus. Tatsächlich, dort lag es! Neben einem großen Stapel mit internen Hauspostmappen hatte sie es versehentlich liegen lassen. Marla griff nach dem Briefing und runzelte die Stirn, als sie ein einzelnes Blatt Papier am Boden liegen sah.

Sie bückte sich und hob es auf. Aha, eine Liste mit Adressen. Gehörte die nun auch zum Briefing oder nicht? Angestrengt versuchte sich Marla zu erinnern, doch sie hatte die Unterlagen heute Morgen nur fahrig überflogen. Die Adressen befanden sich alle in der Stadt, sagten Marla auf den ersten Blick jedoch nichts. Achselzuckend faltete sie die Liste mitsamt dem Briefing zusammen und steckte sie in ihre Hosentasche. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um die Locations für Empfänge, Pressekonferenzen und Galas, auf denen sie sich nun zeigen musste.

Erschrocken fuhr Marla zusammen, als sie plötzlich Neils Stimme hinter sich vernahm. Sie wurde langsam lauter, als würde jemand an einem Lautstärkeregler drehen.

Langsam drehte sich Marla um und staunte nicht schlecht, als sich inmitten Neils prächtiger Bücherregalwand ein geheimer Türrahmen auftat. Dahinter befand sich offensichtlich ein weiterer Raum, aus dem Marla Neils Stimme vernahm. Merkte er nicht, dass die Tür gerade Zentimeter für Zentimeter nach innen aufschwang?

Lieber verschwinden, bevor er es realisiert!, ging es ihr durch den Kopf und sie hastete zur Glastür. Ein schreckliches Wimmern und Stöhnen ließ sie jedoch innehalten, als ihre Hand bereits den Türgriff zu fassen bekam.

„Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich habe einfach nur getan, was man mir befohlen hat.“

„Tja, da sind wir wohl anderer Meinung“, hörte Marla Neils harsche Antwort. „Zu viele Todesfälle lassen sich auf Ihre Arbeit zurückführen. Wir gehen sogar davon aus, dass Sie absichtlich versuchen, uns öffentlich zu ruinieren, indem Sie an der Rezeptur gepfuscht haben.“

Abermals war ein ersticktes Wimmern zu hören. Wie in Trance bewegte sich Marla leise auf den Türspalt zu. Vorsichtig drückte sie ihr Gesicht an den Rahmen, um einen Blick in den Raum zu erhaschen. Die Einrichtung glich der eines gewöhnlichen Besprechungsraumes, von denen es mehrere auf jeder Etage des Gebäudes gab. Am anderen Ende des Raumes, machte Marla eine riesige Leinwand aus, die eine furchtbare Szene offenbarte. An Händen und Füßen gefesselt, saß ein Mann mittleren Alters auf einem Holzstuhl und krümmte sich schmerzerfüllt zusammen. Blut rann aus einer tiefen Schnittwunde an seiner Stirn, während sein linkes Auge bläulich schimmerte. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß und Anstrengung.

Neil stand mit dem Rücken zu Marla, dem Mann auf der Leinwand zugewandt, und hielt sich sein Handy ans Ohr. Offenbar telefonierte er gerade mit jemandem. Auf Marlas Armen stellten sich die Haare auf, Gänsehaut überzog ihren Körper und Angst lähmte ihre Beine. Sie musste sofort von hier verschwinden, am besten ginge sie sofort zur Polizei.

„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir hier nicht mehr weiterkommen“, fuhr Neil in gleichgültigem Tonfall fort, als wäre es nichts Besonderes, jemanden foltern zu lassen.

„Tötet ihn und lasst ihn verschwinden“, befahl er. Marla gefror das Blut in den Adern. Panisch zerrte der Mann auf dem Stuhl an seinen Fesseln und bettelte um Gnade. Plötzlich blickte er an Neil vorbei, direkt in Marlas Augen. Er hatte sie entdeckt.

„Helfen Sie mir, bitte!“, schrie er verzweifelt, bevor sich eine Silhouette vor sein Sichtfeld schob, die sich ihm mit einer Waffe in der Hand näherte.

Neil schoss herum, als er dem Blick des Gepeinigten folgte, und Marla kam nur noch ein Gedanke in den Sinn.

Lauf!

Sie rannte zur Glastür, drückte mit aller Kraft dagegen und hastete den Flur entlang.

„Marla, bleib sofort stehen!“, hörte sie Neil wütend rufen, der ihr auf den Fersen war.

Beinahe fiel sie hin, als sie um die Ecke schlitterte und das Treppenhaus anvisierte. Es blieb keine Zeit, den Knopf am Aufzug zu drücken und das Öffnen der Türen abzuwarten. Nur noch ein paar Meter, dann hätte sie die Treppen erreicht.

Doch plötzlich hörte sie hinter sich den Abzug einer Waffe klicken. „Bleib stehen oder ich schieße!“, bellte Neil.

Wie angewurzelt blieb Marla stehen. Zitternd drehte sie sich um und hob die Arme.

Mit einem ungläubigen und wütenden Gesichtsausdruck zielte Neil direkt auf ihre Brust.

„Zur falschen Zeit am falschen Ort, du dumme Göre“, zischte er bedrohlich.

Marla schloss die Augen.

bottom of page